Aktenzeichen XY gelöst anno 1939 mit dem E1 Einheitsfernsehempfänger 

Bereits vor dem Krieg war mit den ersten elektronischen für damalige Verhältnisse hochzeiligen Fernsehsystemen eine Programmgestaltung möglich wie es sie nach dem Krieg wieder gab.

Interaktives Fernsehen, mit der proaktiven Mitwirkung des Publikums per Telefon gehörte dazu.

Lesen Sie hier darüber, wonach was wir ab den 1970er Jahren mit dem Fernsehformat "Aktenzeichen XY ungelöst" kennen, bereits 1939 seinen "Pilotfilm" dazu hatte. 

Die Rede ist von einer Kurzspielfilmhandlung in dem ein Fahrerflüchtiger, zudem ein Auto Dieb alias "Auto-Albert" gesucht wird.

 

Einleitung:

Schon Jahrzehnte bevor "Eduard der Zimmermann" † 19. September 2009 alias "Ganoven-Ede" die im deutschsprachigen Raum bestens bekannte Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" gestaltete, und ebenso bevor George Orwell seine Kriegserfahrungen im Ministerium machen konnte die ihm 1948 zum Herausgeben des Romans 1984 veranlassten war das Medium Fernsehen zumindest spielerisch bereits im Dienste der Verbrecherjagd eingesetzt worden.

Dieser, dem Internet sei gedankt, "fallweise" online stehende Fernsehwerbefilm der UFA mit dem Filmtitel "Wer fuhr IIA2992" führt uns ein in die Vielfältigkeit des Mediums Fernsehen anno 1939. (Anmerkung: IIA war bis 1945 das Autokennzeichenkürzel für München; IA das für Berlin)   

Wir sehen einige Errungenschaften jener Tage:

  • die neue Reichsautobahn,
  • dicke 3,2 L Mercedes Benzen mitsamt
  • Autoradio, und herausstechend
  • der Fernsehrundfunk als Gemeinschaftserlebnis in den Fernsehstuben die man als Abendunterhaltung eigens (in Berlin) aufsuchte. 
  • Der E1 als Individualempfänger steht wie selbstverständlich in der Polizeidienststelle wo er in der Radiostellung die UKW Rundfunkübertragung als Information und Hintergrundberieselung wieder gibt.
  • Fernsehstudio
  • Fernsehaufnahmewagen der Reichspost

Das in Deutschen Großstädten verfügbare 180 Zeilen Telefonfernsehsprechnetz mit seinen Fernsehsprechstellen wird ebenfalls gleich mit in die Pflicht genommen.

Natürlich hatten auch die Berliner Polizeidienststellen gleich einen der kurz vor Markteinführung stehenden E1 - Einheitsfernsehempfänger.

E1 Einheitsfernsehempfänger für Aktenzeichen XY

Bild: Der vor dem Krieg über 50 gefertigte Stück nicht hinaus gekommene E1 Einheitsempfänger alias einem Deutschen Volksfernseher.

 

Realität motiviert zur Fiktion

Oben genannter Film war dabei nicht das einzige Mal bei dem, zudem nur spielerisch, das neue Medium Fernsehen zur Verbrecherjagd benutzt wurde.

Die Historikerin und Autorin Regina Stürickow hat für ihr Buch “Verbrechen in Berlin” diesbezüglich recherchiert und für unseren Zusammenhang zumindest zwei weitere, zudem echte Kriminalfälle mit Fernsehfahndung beschrieben.

Einem Vorschlag eines jungen Kriminalsekretärs folgend, nahm Ernst Gennat, Chef der Berliner Mordkommission kontakt mit der Programmleitung des Berliner Fernsehsenders Paul Nipkow auf um am 5. November 1938 für den übernächsten Abend um 20 Uhr, 20 Minuten Sendezeit zu erhalten.

 Fernsehsender Paul Nipkow

Bild: Stationsdia des Berliner Fernsehsenders

Mord an einem Taxifahrer

Es sind dies der Fall eines ermordeten Taxifahrers, bei dem am 7. November 1938 ein am Tatort liegen gebliebenes Beweisstück zur Täteridentifikation im Großraum Berlin im Fernsehen gezeigt wurde.   

Mord an einer Prostituierten

Nur einen Tag später folgte die nächste Fahndung nach dem Mörder einer Prostituierten, wo ebenso ein Kleidungsstück des Täters am Tatort zurückgelassen worden war.

 

Erfolgsquote 100%

In beiden Fällen konnten rasch die Täter durch identifikation der Kleidungsstücke durch in den Fernsehstuben anwesende Zuseher gefasst werden.

Zuseher, die allesamt in den Berliner Fernsehstuben, zumeist platziert in Postämtern am damaligen Fernsehen teilnahmen.

Was in der Wahrnehmung seitens des Autors dieser Zeilen wohl etwas überstrapaziert wird, das sind die kolportierten sagenhaften Zuschauerzahlen von “Zehntausenden” die da zugesehen haben wollen.

Fernseh AG Fernsehradioempfänger 1938/39  Deutsche vor dem E1 Einheitsfernsehempfänger

Bilder: Reine Werbebilder der Gerätehersteller um 1938/39, damals Propaganda genannt, für den bald möglichen Individualempfang des Fernsehens. Zum diesem Zeitpunkt bis 1951 in Deutschland, 1955 in Österreich eine reine Fiktion!



Bild: Symbolbild der Aufstellung in einer typische Fernsehstube die eine Idee der Zuschauerzahlen geben kann. Diese Szene stammt aus 1936 in Frankreich!


Diese Zahl läßt sich mit den nur beiden Großraumkinos, ausgestattet mit frühen Fernsehprojektoren sowie den diversen Fernsehstuben, mit je zwei aufgestellten rund 40 cm Bildschirmen mit entsprechenden Zuschauerzahlen schwer nachvollziehen.


Vorkriegs Fernsehgroßbildprojektor

Bild: Fernseh Großbildprojektoren diverser Hersteller wie sie (als Einzelstücke) im Kino standen. Siehe auch den Artikel Fernsehen in Deutschland bis 1945

Zudem auch damals schon die Kritik geäußert wurde, wonach diese Fernsehstuben nicht immer nur zum Fernsehen, sondern gar als ordinäre “Wärmestuben” im Winter zweckentfremdet kontrahiert wurden.

10.000e Zuseher (kolportiert werden 160.000) mag es gesamt zur Olympiade 1936 an den ebenfalls wenn auch anderem technischen Gerät noch in der 180 Zeilen Norm arbeitenden verfolgt worden sein. Das aber wäre als Sonderereignis zu werten. 

 

Ob man sich wohl ausmalen kann was daraus geworden wäre wenn im damaligen Umfeld dieses Medium massenwirksam zur Verfügung gestanden wäre?

Visuelle Überwachung wie wir es heute als gegeben hinnehmen könnte in dieser(n) Idee(n) seinen Keim gehabt haben.

Was auffällt, ist aber die wohl gespielte Aufmerksamkeit aller Akteure auf das was sie sehen und hören und deshalb zu den Ermittlungen einbringen können.

Uns bleibt die Ernüchterung der omnivisuellen Realität nach über 70 Jahren öffentlichem Fernsehen und die lautet bisweilen:

Medial visuelle Überreizung und Übersättigung.   

Bild nicht verfügbar  

Und damit hier niemand über 80 Jahre später ungewolltes Opfer einseitiger Propaganda wird sei auf weitgehend vergleichbare 1939er RCA Werbefilme zum Thema Fernsehen in den USA zum internationalen Vergleich verwiesen.

Bereits 1936, im Film "Trapped by Television" in den USA, in Großbritannien herausgekommen unter dem Titel "Caught by Television" von Columbia Pictures gibt es ebenfalls die Handlung wonach ausgerechnet mit dem Fernsehen die Verbrecher entlarvt werden die das Fernsehen verhindern wollen. Mit dabei die erste Fernsehkamerafrau und ein begeistertes Publikum beim Faustkampf vor dem Rechteckflachbildschirm.

 

Beachte auch die Begeisterung für Pferderennen hüben wie drüben. 

Auch mit Boxkämpfen wurde das neue Medium gerne beworben. 

Belegt auf deutscher Seite sind der Boxkampf mit Fernsehübertragung in der Europameisterschaft vom 2. Juli 1939 mit Max Schmeling gegen Adolf Heuser - (Ausschnitt Spiegel TV 1999 "Fernsehen unterm Hakenkreuz").  

441 Zeilen Fernsehübertragung

Sowie: 441 Zeilen Fernsehübertragung vom aktuellen Bilddienst des deutschen Fernsehrundfunks vom Boxkampf im Berliner Sportpalast am 11.8.1939 zwischen Adolf Heuser & Preciso Merlo in der Europameisterschaft im Halbschwergewicht.

Wobei hier schon die überarbeitete Kamera der Fernseh AG mit dem Superikonoskop (Speicherröhre mit elektronenoptischer Vergrößerung) zum Einsatz kam was auch bei unzureichenden Lichtverhältnissen für gute Aufnahmen sorgte.(Quelle: Fernseh AG Hausmitteilungen 1. Band, Heft 6, Dezember 1939).

Fußballfreunde hingegen können im Fußballländerkampf Deutschland-Italien am 26.11.1939 im Berliner Olympiastadion die Übertragung im Fernsehen belegt finden:

Fernsehkamera der Fernseh AG beim Fußballländerkampf

(Quelle: Fernseh AG Hausmitteilungen 1. Band, Heft 6, Dezember 1939)

Anmerkung: Zu jener Zeit wurde auf beiden Kontinenten mit 441 Zeilen Abtastrate gearbeitet. Inkompatibel blieb es dennoch, da hier eine 50 Hz und dort eine 60 Hz Netzversorgung und somit auch vertikale Ablenkfrequenz waren/sind.   

 

©2/2009 W. Scheida/Wien Fernsehhistoriker zu  www.scheida.at/scheida/Televisionen.htm gehörend

Updated: 22.07.22